Archiv für April 2010

Basketball: So geht es ans College

Freitag, 30. April 2010

Mindestens ein Mal täglich Training. Spiele in ganz Nordamerika. Bei jeder Partie eine mit etwa 15.000 Hardcore-Fans vollgepackte Halle. Karten, die so rar sind, dass sie vererbt werden. Und Live-Übertragungen rund um die Uhr. Der Clou: Die Spieler sind Studenten und verdienen keinen einzigen Cent. Willkommen beim College-Basketball, wo die USHochschulen ihre Teams in das Rennen um den NCAA-Titel schicken. Die Universitäten bezahlen talentierten Teenagern das Studium, dafür vertreten die Youngster landesweit ihre Uni.

Eine Win-win-Situation.

Neben amerikanischen Highschool-Absolventen zieht das College seit jeher auch deutsche Talente (siehe Kasten) an. Elias Harris aus Speyer wechselt nächste Saison nach Gonzaga (checkt Seite 82), Ex-Nationalspieler Henrik Rödl wurde 1993 mit North Carolina sogar Champ.

Dazwischen liegen zwar viele Jahre, doch das College hat seinen Reiz nicht verloren: Professionelles Coaching. Trainingsanlagen wie bei NBA-Teams. Ein sportverrücktes Umfeld. Ein Hochschulstudium kriegt man bei entsprechendem Talent geschenkt. Und Sonderstellung auf dem Campus.

“Das Leben an einer amerikanischen Uni ist eine sehr positive Erfahrung, und zwar in allen Bereichen: Basketballerisch, akademisch und menschlich”, fasst Johannes Herber von ALBA Berlin zusammen. Der Nationalspieler war vier Jahre für West Virginia aktiv. “Ich würde die Ausbidung am College immer einer Profikarriere in Deutschland vorziehen. Das Geld, das man hier als junger Spieler verdient, wiegt die College-Erfahrung in keinem Maße auf. Es sollte eine Entscheidung sein, wo man sich am besten entwickeln kann. Und nicht wo man ein paar Tausend Euro verdient. Wenn man sich in Amerika gut entwickelt, kompensieren die späteren Verträge das locker.”

So kommt man hin

Der direkte Weg an eines der 330 Uni-Teams der höchsten Spielklasse Division I wäre theoretisch eine schriftliche Bewerbung. Man zahlt Studiengebühren, schreibt sich ein und versucht sein Glück beim Tryout für das Basketball-Team. Allerdings bekommt man durch “Walkaround”- Probetrainings nur seltenst einen Platz im Kader. Und die Studiengebühren kosten mit Zimmermiete und Verpflegung an Top-Universitäten wie Duke pro Jahr über 30.000 Euro.

Der übliche Weg für Sportler ist das Stipendium (Scholarship). Wer so gut ist, dass die Uni ihn unbedingt haben will, bekommt auch alles bezahlt.

Eigenwerbung

Um Unis auf sich selbst aufmerksam zu machen, kann man aber nicht einfach ein selbst gebasteltes Highlight-Tape in den Briefkasten einwerfen. Vielmehr nutzen Coaches, Agenten und Talentschmieden wie das Basketballinternat “Basketball Academy Urspring” ihre persönlichen Kontakte, um vielversprechende Youngster bei diversen Unis anzupreisen. So sindseit 2003 bereits zwölf Urspring-Schüler an ein College gewechselt, Lucca Staiger spielt beispielsweise für Iowa State und steht dort knapp 24 Minuten pro Partie auf dem Parkett.

Eine Alternative sind Sichtungsturniere wie das European Basketball College Exposure Camp in Bonn. Vom 12. bis 14. Juni präsentieren sich dort 60 Jungen und Mädchen. Das Gesamtpaket mit Hotel, Verpflegung, Seminaren zum Thema College und Pick-UP-Games kostet für Jugendliche zwischen 16 und 24 Jahren 380 Euro. Eine Anmeldung ist bis Ende März möglich, Infos bekommt ihr unter www.slammers.de. “Wer gut spielt, geht vielleicht mit einem Stipendium in der Tasche nach Hause”, sagt Slammers-Chefin Iska Waterloh. Bester Beweis ist Yassin Idbihi, der über den Event nach Buffalo in die NCAA kam und nach seiner Rückkehr zum Profi und Nationalspieler wurde.

Vorraussetzung

Um in der höchsten NCAA-Division Einsatzzeit zu bekommen, sollte man auf Pro-A-Niveau spielen. Die (Fach-) Hochschulreife ist unbedingt notwendig, da man ja studieren muss. Außerdem darf man in Deutschland noch nicht mit Profis in einem Team gespielt haben, sonst drohen Sperren (Lucca Staiger musste das erste College-Jahr aussetzen). “Nach dem Abitur können die Spieler frei und ohne Vertrag an neue Herausforderungen herangehen”, sagt Urspring-Headcoach Ralph Junge. “Vor dem letzten Schuljahr sollte sich ein Spieler spätestens mit dem Thema College auseinandersetzen.”

So einigt man sich

Jedes College verfügt nur über ein gewisses Budget, mit dem die Official Visits der Spieler bezahlt werden. Einigt man sich mit einer Hochschule, muss man nach der Zusage (”letter of intent”) das Stipendium unterschreiben und den Zugangstest namens SAT bestehen. Erst dann darf man spielen und studieren. Das Studienfach wählt man nach den Grundkursen (general courses), ein Abschluss ist kein Muss. “Das Niveau liegt unter dem deutscher Unis und ist so hoch, wie man möchte”, erklärt Herber.

Highscool Förderlich

Detlef Schrempf fiel der Sprung ans College leichter, weil er zuvor schon an einer Highschool gespielt hatte. Diese kann man am besten in Klasse elf besuchen, Plätze vermitteln Agenturen wie Stepin. Zehn Monate kosten rund 7.000 Euro, eine Basketball-Garantie gibt es aber nicht.

Grosser Schritt

Hat man es an ein College geschafft,  wartet eine basketballverrückte Welt. “Die Aufmerksamkeit ist schön, so eine Popularität erreicht man wohl nie wieder”, sagt Nationalspieler Herber. Er spielte gegen spätere NBA-Stars wie Chris Paul und Carmelo Anthony. “Ich rate, die Entscheidung von den Leuten abhängig zu machen. Die Uni kann noch so cool sein: Wenn du nicht spielst oder der Coach unglaubwürdig ist, solltest du’s überdenken.”

Quelle 4/2009

NBA Spieler Vorstellung: Keine Halben Sachen – Danny Granger

Dienstag, 27. April 2010

Danny Granger fällt nicht auf. Wenn man sich irgendwo im US-Bundesstaat Indiana inmitten einer Mall platzieren und eine Umfrage zum Thema “Was oder wer fällt Ihnen spontan zum Thema Basketball in Indiana ein?” starten würde, bekäme man überraschende Antworten. Wahrscheinlich würden im US-Basketball-Staat Nr. 1 die meisten über die Hoosiers reden – die geliebte Truppe der Indiana University. Etliche noch über deren kontroversen Ex-Coach Bobby Knight. Man wird vom berühmtesten Sohn eines Kaffs namens French Lick schwärmen. Einem gewissen Larry Bird. Und der ein oder andere dürfte die Miene verziehen, verächtlich vom Kautabak verfärbten Speichel in einen Mülleimer spucken und jene Pacers erwähnen, die 2004 beim “Basketbrawl” gegen die Pistons die Ehre des Staates in den Schmutz gezogen haben. Fraglich, ob überhaupt einem Danny Granger in den Sinn kommen würde. Dabei wird es höchste Zeit, dass sich das ändert. Nicht nur in Indiana. Und nicht nur, weil er in dieser Saison ins All-Star-Team berufen wurde …

Elektro-Freak

Natürlich kann man diese Berufung zum Anlass nehmen, Danny Granger genauer in Augenschein zu nehmen. Genauso wie dessen Nominierung für den Dreier-Contest. Oder die 25,6 Punkte pro Spiel und fast 40-prozentige Quote von Downtown, die maßgeblich zu diesen Auszeichnungen beigetragen haben. Aber zum einen ist die Basketball-technische Bilanz nur eine Seite der Medaille, die Danny Granger das Potenzial gibt, mehr zu sein als “nur” ein zum ersten Mal ins AII-Star-Team Berufener. Und zum anderen bietet die Rückseite der Medaille genügend Storys und Anekdoten, um sie mal länger als nur für fünf Minuten umzudrehen und einen intensiven Blick darauf zu werfen. Auf einen ungewöhnlichen Typen, der irgendwie wie jeder andere und doch ganz anders ist.

Denn wer Danny Granger reden hört, der wird nicht viel Zeit verstreichen lassen, bis er sich mit einem verwunderten “Deja vu”-Feeling am Hinterkopf kratzt und sich fragt, wo er das schon mal gehört hat. “Ich liebe Videogames über alles”, schwärmt er gerne. “Ich spiele ständig und gucke eine Menge Filme, habe inzwischen weit über 2.000 DVDs.” Damit steht Danny G. kaum allein da in der exklusiven Bruderschaft, die sich NBA-Spieler nennt. Geschätzte99,87 Prozent dieser Clique daddelt sich regelmäßig die Daumen taub. Zu Hause, vor Spielen, vor allem aber auf langen Road-Trips. Im Hotel, Bus und Flieger. Was DVDs angeht, weiß jeder, der eine Handvoll MTV-Cribs-Folgen kennt, dass der durchschnittliche NBA-Spieler die Silberlinge sammelt wie der Streber gute Schulnoten. Danny Granger stellt da keine Ausnahme dar. Viele Scheiben hat der 25-Jährige schon mehr als ein Mal gekauft. Eine Version für zu Hause, eine als portables Futter für unterwegs und eine dritte, weil Nummer eins oder zwei in irgendeinem Hotel zwischen die Betten gerutscht ist.

Technik-versessen sind NBA-Stars durch die Bank. Kein Wunder: Sie sind jung, mit jeder Menge Zeit und dem nötigen Kleingeld ausgestattet, um jeden noch so absurden Traum zu erfüllen. Diese Dinge zu nutzen ist jedoch eine Sache, wirklich etwas davon zu verstehen eine völlig andere. Und so dürfte Danny Granger mit sehr großer Wahrscheinlichkeit der einzige NBAler sein, der das hoch komplizierte Sound system in seinem Haus selbst installieren konnte. Der Hunderte Meter Kabel durch die Wände gezogen hat, ohne dabei einen Stromschlag zu bekommen . ..Ichhabe die Schaltkreise eingesetzt und die Schutzschalter repariert, als sie kaputtgegangen sind, und Arbeiten gemacht, die mich insgesamt bestimmt 30.000 Dollar gekostet hätten”, erklärt Granger.

Offiziell mag er einem aufstrebenden NBA-Star ähneln, inoffiziell aber machen ihn seine technischen Fähigkeiten zum 1-a-Prototypen des NBANerds. “Auf einer Skala von eins bis zehn auf der Nerd-Skala hab ich im Technik-Bereich sicher eine Sieben”, grinst der Sohn eines Elektrikers. ,Als Kind hatte ich schon so einen Rufweg, vor allem, weil mein Vater mir diese Steve-Urkel-Brille verpasst hatte, mit einer Halteschnur. Aber ich war halt auch intelligent.”

Intelligent genug, um nicht den Fehler vieler Altersgenossen zu begehen, in all den Highschool- und Collegejahren einzig und allein einem Traum hinterherzuhecheln, der für die wenigsten wahr wird und den meisten ein jähes und unangenehmes Aufwachen beschert. Natürlich war auch der junge Danny Granger ein talentierter Nachwuchs-Baller. Ein sehr talentierter sogar. Talentiert genug für den Traum von der großen Liga. Vor allem aber schon gut genug, um nach der Highschool den Schritt zu gehen, der den meisten, meist schwarzen, Jugendlichen aus sozial schwächeren Schichten verwehrt bleibt: den Sprung ans College. Er hat sein Talent und seinen Sport erst mal als Mittl zum Zweck angesehen. Um eine gute Ausbildung kostenlos zu genießen, die sonst gut und gerne den Kaufpreis eines netten Mittelklassewagens erreicht hätte. Pro Jahr! “Mein ganzes Ziel war nur, Basketball zu nutzen, um einen Abschluss zu machen.

Für diese Liebe hat Granger einiges auf sich genommen. Während für den normalen Studenten die Zeit am College oft die schönsten Jahre des Lebens darstellen, stellten sie sich für Danny Granger gerade anfangs als eine deftige Probe heraus. “Meine ersten beiden Jahre an der Bradley University waren wirklich anstrengend, weil das Ingenieurs-Studium dort wirklich sehr gut und sehr hart ist”, erklärt der heute 25-Jährige. “Ich musste Basketball mit Physik, Mathe und den ganzen anderen Fächern kombinieren. Ich kann mich daran erinnern, dass ich meine Hausaufgaben bis ein Uhr nachts gemacht habe und dann frühmorgens wieder trainieren musste.” Wenn man eine Umfrage unter den 200ger-AII-Star-Kollegen Grangers starten würde, dann dürften wohl die wenigsten diese Erinnerungen teilen. Highschooler wie Kobe Bryant und LeBron James hatten mit diesem Leben schon per se nie etwas am Hut. Aber auch jene, die am College waren, konnten sich dort meist entspannt zurücklehnen …

Offiziell nennt man die Sportler an US-Universitäten “Student Athletes”. Aber vor allem an den für bestimmte Sportarten bekannten Unis stellen die talentierten Spieler mit Profi-Potenzial in erster, zweiter und dritter Linie Athleten dar. Natürlich studieren sie. Offiziell. Inoffiziell dürfen sie sich den Stundenplan mit lächerlichen Fächern wie “Gesellschaftstanz” oder sogar “Basketball-Geschichte” vollpacken. Nicht selten kommt es vor, dass andere Studenten die Hausaufgaben schreiben, Professoren massive Fehlstundenzahlen dulden und die Uni-Präsidenten beide Augen zudrücken, wenn es um die schulischen Leistungen geht. Solange die sportlichen stimmen! Denn die bringen Prestige und oft jede Menge Geld.

Genau das hatte natürlich auch Danny Granger vor Augen. Dessen Rechnung war einfach: Eine fundierte Ausbildung, für die er sich obendrein nicht verschulden muss, sichert ihm einen guten Job, der wiederum ein stabiles, wenn nicht sogar hohes Einkommen garantiert. Das funktionierte so gut, dass Danny Granger an der Elite-Uni Yale hätte studieren können. Ein Karriereplan, der als einfache Rechnung aufzugehen schien. Bis Granger irgendwann selbst einen dicken Schlussstrich darunter gezogen hat. Weil er nicht mehr nur gut war, sondern zu gut für seinen eigenen Plan.

“Die Leistungssteigerung kam wie aus dem Nichts”, wundert sich der Small Forward noch heute. “Aber auf einmal habe ich Awards gewonnen und irgendwann realisiert, dass ich es wahrscheinlich bis in die NBA schaffen würde. Da hat sich mein Fokus dann etwas verändert.” Das Problem an der Sache: Die Bradley University mag schon einige exzellente Ingenieure ausgebildet haben, aber als Brutstätte für NBA-Talente ist sie weitgehend unbekannt. Einzig der siebenfache NBA-AII-Star Chet Walker und Ex-Sonics-Scharfschütze Hersey Hawkins konnten sich als ehemalige “Bradley Braves” in der stärksten Liga der Welt durchsetzen.

Es gibt zwei Möglichkeiten in solch einer Situation. Entweder man stellt auf stur, verändert den Status quo nicht und versucht, auch in der Basketball- Diaspora so aufzutrumpfen, dass die Liga einen nicht übersehen kann. Oder man wechselt das Team. Granger entschied sich für Letzteres … und für die University of New Mexico.

Diese ist groß genug, um im Blickfeld der NBA zu stehen, aber klein genug, um Granger die Möglichkeit zu geben, vom ersten Tag an der Star der Truppe zu sein. Dafür nahm er in Kauf, fast ein Jahr lang aussetzen zu müssen. So sind die Regeln der NCAA.

Ganz anders sahen die Regeln von Danny Granger senior aus. Wenn der Junior vom beschaulichen IIlinois nach Albuquerque zieht, dann zieht der Vater mit. Ende der Diskussion. Das klingt erst mal seltsam. Ein junger Erwachsener, auf eigenen Füßen und auf dem besten Weg, jede Menge Geld zu verdienen – ein Dad als Aufpasser passt da irgendwie nicht dazu. Jedenfalls nicht vor Ort. Aber so war es früher, und so sollte es bleiben in den Augen von Granger senior. Da ließ Daddy nicht mit sich reden.

“Ich habe als Kind und Jugendlicher genauso Unfug getrieben wie anderein meinem Alter”, zieht Danny Granger junior den Vergleich mit Gleichaltrigen. “Aber ich habe nie etwas so Schlimmes getan, wie Drogen zu verkaufen oder jemandem eine Knarre an den Kopf zu halten. Ich hatte viel zu viel Schiss davor, dass mein Vater mich killen würde, wenn ich das tue.”

Wie so viele andere, vorwiegend schwarze Sportstars in den USA verfügt auch der Pacers-Star über Wurzeln in einer Gegend, die Optimisten als einfach und Pessimisten als Getto bezeichnen würden. Tief im Süden, in Louisiana, wo Jobmangel seit Jahrzehnten Tradition hat, sorgte Grangers Vater mit eiserner Hand und jeder Menge Disziplin dafür, dass sein Nachwuchs auf ehrliche Art und Weise und nicht über die schiefe Bahn den Ausweg aus einfachen Verhältnissen finden würde. Das hieß vor allem eins: Pauken, pauken, pauken! “Darum ging es meinem Vater stets: um schulische Leistung”, erinnert sich Danny Granger. “Er wollte schon, dass ich Basketball spiele, aber er hätte mich nie auf eine Schule geschickt, nur weil sie ein gutes Basketball-Team hat.”

Da passt es ins Bild, dass der Vater dem Sohn einen eigenen Court baute, inklusive Flutlicht. Direkt neben dem elterlichen Wohnhaus. Nicht – was naheläge -, um ihm den Weg zu einer NBA-Karriere zu ebnen, sondern um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass er irgendwo anders auf dumme Gedanken kommt. Weil Grangers Heimatort Metairie, im übertragenen Sinne, nicht zu den sonnigsten Orten dieser Erde zählt und das Behüten des eigenen Nachwuchses wohl zu den natürlichsten Elterntrieben gehört, kann man das nachvollziehen.

Nur: Bei Danny junior wollte Papa ganz auf Nummer sicher gehen. Nicht nur in New Mexico, sondern auch auf der nächsten Stufe der Karriere-Leiter seines sportlich talentierten Sohnes war er dabei. Nicht als schnell erreichbare Unterstützung im Geiste – sondern live. Vor Ort. In Fleisch und Blut. Zwei Generationen von Grangers vereint in Indianapolis. Unter einem Dach.

Dass Granger senior inzwischen dann doch die Wohngemeinschaft mit seinem Sohn und der zukünftigen Schwiegertochter verlassen hat, ändert nichts an der innigen Beziehung der beiden und dem Resultat der strengen Erziehung. “Ich kann Danny nur als einen Menschen mit höchstem Charakter bezeichnen”, schwärmt dessen Ex-College-Coach Ritchie McKay.

Gerade deshalb sorgt die Entscheidung vieler NBA-Teams, Granger in der vorderen Hälfte der ersten Draft-Runde 2005 so eklatant zu übersehen, für Kopfschütteln. Denn immer wieder haben Teams in den vergangenen Jahren darauf gesetzt, nicht nur die sportliche Komponente in den Vordergrund zu rücken, sondern auch den familiären Background und die menschliche Seite zu checken. Die Portland Trail Blazers – man erinnert sich – bauten nach dem Publicity-Desaster der “Jailblazer” -Jahre um Rasheed Wallace und Damon Stoudemire gar eine kornplett neue Mannschaft unter diesem Motto auf. Als Musterbeispiel dafür galt und gilt Martell Webster. Gedraftet an sechster Stelle. Wegen seiner Qualitäten als Shooter und als Mensch.

Rückblickend rnuss man sich fragen, wo ein Danny Granger in den Gedankengang dieser Entscheidungsfindung passt. Vom Talent her konnte ,,00″ dem Forward der Blazers locker das Wasser reichen. Auf der menschlichen Ebene allem Anschein nach auch. Also ist Granger wohl ein Paradebeispiel für einen Trend in der NBA, unerfahrenen Spielern eine große Zukunft vorherzusagen und jene mit vier Jahren College-Erfahrung schon vor der ersten NBA-Minute zum alten Eisen zu erklären. Man hat diese “Jungs” vier Jahre beobachten können und glaubt zu wissen, was sie bieten. Was man kennt, ist halt nicht

So sexy.

So kommt es immer wieder vor, dass der völlig blauäugige, aber mit einer immensen Armspannweite und guter Sprungkraft ausgestattete Nachwuchs-Big-Man Webster für das, was er sein könnte, einem Spieler wie Granger vorgezogen wird. Der bietet im Gegensatz dazu zwar Sicherheit, aber kaum Entwicklungsmöglichkeiten. So das herrschende Vorurteil.

Dass Danny Granger einer jener Spieler ist, die zeigen, dass man sich auch als Spieler mit vier Jahren College noch wesentlich verbessern kann, führt Houston-Rockets-Star Ron Artest auf die von Granger senior gepredigte Arbeitsmoral zurück. “Danny hat sich nicht auf sein angeborenes Talent verlassen und sich mit dem Erreichten zufriedengegeben”, glaubt Artest, der mit Granger in der Saison 2005/06 zusammengespielt hat. “Er maximiert sein Talent zurzeit wirklich optimal.”

Dass dieses Attribut zumeist den wirklich überragenden Spielern dieser Sportart zugeschrieben wird, ändert nichts an der Tatsache, dass der Shootingstar dieser Saison momentan nicht mehr darstellt als einen sehr starken Spieler in einer arg mittelmäßigen Truppe. Die Pacers spielen zwar attraktiven, schnellen Basketball und sind mit rund 105 Punkten pro Partie das drittbeste Scoring-Team der Liga, aber mit den Playoffs hat das Team allem Anschein nach nichts zu tun. “Wir haben nicht DAS Gesicht der Franchise”, glaubt derweil auch Indianas Coach Jim O’Brien. “Wir sind als Team stark. Aber Danny Granger ist ein sehr, sehr guter Spieler. Er hat die beste Plus-minus-Statistik unseres Teams, er ist ein solider Leader und zusammen mit Mike Dunleavy einer unserer Captains. Er ist ein Scorer, aber auch ein solider Defender. Alles in allem ziemlich vielseitig also.”

Natürlich stechen trotz der 1,0 Steals, 1,5 Blocks und 5,0 Rebounds vor allem Grangers 25,6 Punkte pro Spiel ins Auge, die ihn zum fünftbesten Scorer der Liga machen. Das resultiert sicherlich aus dem Talent Grangers, aber zum Teil eben auch aus dem offensiv ausgerichteten System seines Coaches, der seine Jungs mehr Dreier nehmen lässt als 27 andere Teams dieser Liga. Und Granger trifft nahezu 40 Prozent seiner Versuche von Downtown. Als Spot-up-Shooter gehört er schon jetzt zu den Besten dieser Liga. Seine Kritiker bemängeln indes gerne, dass der Schuss aus dem Dribbling eher mittelmäßig ist und sein Ballhandling sowie Passspiel noch einen kräftigen Verbesserungsschub vertragen können, um Granger wirklich in höhere Starsphären der Liga zu katapultieren. Letzten Endes hängt es zu einem gewissen Teil von Granger selbst ab, ob er ein starker Scorer in einem schwachen Team bleibt oder ein echter Superstar wird, der seine Mannschaft zum Erfolg powert. Zumindest hat er bei den Pacers noch einen Vertrag bis 2014, der ihm 60 Millionen Dollar garantiert.

Egal ob bei den Pacers oder in einem anderen, besseren Team: In den nächsten Jahren wird man noch viel von Danny Granger hören. Und wenn es überraschenderweise doch nichts mehr mit einer Superstar-Karriere in der NBA werden sollte, kann sich der Pacers-Forward ja immer noch auf seine anderen Talente besinnen. Davon hat er ja genug. Und sei es als Elektriker.

Quelle: 4/2009

Hart wie eine Eiche – Charles Oakley

Samstag, 24. April 2010

Als Dave Robbins einmal gefragt wurde, was für ein Typ dieser Charles Oakley sei, antwortete er mit einer Gegenfrage: “Habt ihr schon mal versucht, einen Nagel in einen Pinienstamm zu schlagen? Der Nagel wird zerbrechen. Und genau das passiert mit euch, wenn ihr auf dem Feld auf Charles trefft. Er ist hart wie eine Pinie.” Robbins muss es wissen. Er war Oakleys Coach an der Virginia Union University.

Charles Oakley war nie der Highflyer oder Showballer, wie sie heutzutage zu Tausenden über das Parkett fliegen. Trotzdem war er einer der populärsten und bekanntesten Spieler der 90er-Jahre. Denn mit seiner Kraft, seinem Aussehen und seinem Einsatz verkörperte er perfekt den “hard working man” des Basketballs.

Besondere Stärke des Mannes, dessen krasse Flattop-Frisur lange zu seinen Markenzeichen gehörte, war seine Rebound-Arbeit. Obwohl er kaum springen konnte, sicherte er sich in 1.282 Spielen unglaubliche 12.205 Boards – gerade einmal 18 Spieler in der NBA-Geschichte räumten mehr Rebounds ab, und fast alle waren Superstars. “Ein Rebound ist immer noch ein Rebound – egal, ob ich ihn in der Luft schnappe oder noch mit den Füßen auf dem Boden stehe”, erklärte der Power Forward lapidar. Manchmal sah es sogar so aus,als wolle er sich gar nicht erst in die Luft begeben, um stattdessen seinem Gegenspieler zu zeigen: “Um dich zu schlagen, muss ich gar nicht springen. Ich komme auch so an den Ball.

Basketball hatte für Oakley nichts mit eleganten Moves oder blitzschnellen Dribblings zu tun. Sein Spiel erinnerte eher an das der Straße – dort, wo nicht nach einem Ellbogenhieb der Schiri eingreift. Für Oakley zählte nur die Drecksarbeit – und genau das machte ihn so wertvoll. Keinen Ball verloren geben und immer das letzte aus sich herausholen, das war genau seine Art, Basketball zu spielen. “Es ist schön zu wissen, dass du einen hast, mit dem du bedenkenlos in die Schlacht ziehen kannst”, so Ex-Mitspieler John Starks. “Auf dem Platz mache ich das, was wirklich zählt, egal, wie körperbetont ich dafür spielen muss”, fügt “The Oaktree” hinzu. “Oaktree”, ein Mann wie ein Baum. Hart wie eine Eiche. Oder eine Pinie. In seinen Teams war er derjenige, hinter dem sich alle verstecken konnten. Als Mitspieler geliebt, als Gegner gehasst.

Schon als Kind lernte Oakley, was es heißt, mit bloßen Händen harte Arbeit zu verrichten. Nach dem Tod seines Vaters zog er als Siebenjähriger von Cleveland nach Alabama auf die Farm seiner Großeltern und half fortan bei der Feldarbeit. Sein Großvater war auch sein Vorbild. “Ich habe ihm immer bei der Arbeit zugeschaut und war beeindruckt, wie hart er arbeitete, ohne sich zu beschweren.” Was er ebenfalls von seinem Opa lernte, war der respektvolle Umgang mit seinen Mitmenschen. Oakley war einer der uneigennützigsten Spieler und arbeitete jedem zu. Auf dem Parkett kam der 2,06 Meter große Forward allerdings eher grimmig daher.

“Oak” hatte viele Tricks auf Lager, um sich einen Vorteil zu verschaffen: Dem Gegner auf die Finger treten, wenn er auf dem Boden liegt, oder ihm den Ellbogen in den Rücken rammen, wenn der Schiedsrichter wegschaut, gehörten zu seinen Spezialitäten. Ab und zu verpasste er seinem Gegenüber eine Kopfnuss, was häufig in wilden Prügeleien endete. “Ich habe ihn gehasst”, schäumt NBA-Legende Charles Barkley noch immer vor Wut. “Er war einer der schmutzigsten Gegenspieler, die ich jemals hatte.” Als schmutzig empfand Oakley seine Art zu spielen nie. “Ich mache nur das, was nötig ist, um zu gewinnen”, entgegnete er stets.

19 lange Jahre polarisierte Charles Oakley in der Liga der Besten – er spielte so lange, dass manche das Gefühl hatten, er gehörte zum festen Liga-Inventar.Und auch die Coaches ehrten das kämpferische Aushängeschild der NBA: 1994 wurde er ins AII-Star-Team berufen – eine Auszeichnung für die vielen Jahre der harten Arbeit. Mit den Knicks fightete er sich 1994 ins NBAFinale (3:4 gegen Houston) und sorgte damit für einen riesigen Popularitätsschub für die Franchise.

Seine Art, Basketball zu spielen, hat in der NBA ihre Spuren hinterlassen. Immer wieder versuchen Spieler, Oakley nachzueifern: NBA-Arbeitstier Ben Wallace, den Oakley sogar gefördert hat, ist der bekannteste Akteur, der das Motto “Be Iike Mike (Jordan)” in “Be Iike Oak” umgewandelt hat.

Der Traum vom Titel blieb für die “Eiche” allerdings unerfüllt. Auch, weil ihn die Bulls schon 1989 nach New York getradet hatten. Sehr zum Ärger von Michael Jordan übrigens .

Ganz von der Bildfläche verschwunden ist Charles Oakley allerdings auch heute nicht. Mit ein wenig Glück trifft man ihn in einem seiner Auto-Wasch-Salons. Auch hier verzichtet er auf moderne Polier-Maschinen und vertraut lieber seinen eigenen Händen. “Keine Maschine kann die eigene harte Arbeit ersetzen”, ist er seinem Motto treu geblieben. Heute genauso wie damals auf dem Parkett.

Quelle: BASKET 4 /2009

NBA: Spieler: Vince Carter

Donnerstag, 22. April 2010

Vergangenen Sommer, irgendwann nach dem Trade zu den Magic, so berichtete Vince Carter kürzlich dem “Orlando Sentinei” , habe er auf der Terrasse seines Anwesens in Isleworth’ gestanden und sich beim Blick in den Sternenhimmel dort erstmals so richtig heimisch gefühlt. Die Villa im edlen Vorort von Orlando hat er bereits seit einigen Jahren, bisher allerdings nur als Sommerdomizil, da er während der Saison im … nun … nicht so schönen New Jersey weilen musste. Dann kam der Wechsel nach Orlando, und das veränderte so ziemlich alles für den fast 34-jährigen Swing man.

Raptors auf, beides Klubs in Städten, die mindestens 1.500 Kilometer von seiner Heimat Florida entfernt sind. Nun aber ist er dauerhaft zurück und verdient sein Geld weniger als eine Autostunde entfernt von seinem Geburtsort Daytona Beach. 1995 hatte er dort mit der Mainland Highschool die Staatsmeisterschaften gewonnen, danach aber Florida verlassen, um in North Carolina seine Basketball-Ausbildung an der University of North Carolina unter Trainerlegende Dean Smith fortzuführen. Sowohl für die Basketballanhänger in seiner Heimat als auch für Vince Carter selber war es damals ein sehr schmerzvoller Abschied …

“Vince hat immer davon geträumt, in Orlando zu spielen”, sagt sein ehemaliger Highschool-Trainer Charles Brinkerhoff, als er im Juni 2009 zum Trade seines Ziehsohns befragt wird. “Und jetzt endlich hat er die Chance dazu. Er ist sehr aufgeregt.” Für Carter ist der Wechsel zu den Magic aber nicht nur die Chance, in der Heimat zu spielen, sondern auch eine Möglichkeit, um die öffentliche Meinung über ihn und seine Karriere zu korrigieren. Bisher war er als athletischer Scorer mit guten Statistiken bekannt, der aber nicht unbedingt ein Gewinnertyp ist. Als er mit New Jersey die vergangenen beiden Jahre nicht mal die Playoffs erreichte, wurde er fast vergessen. Ausgerechnet er, der spektakulärste Dunker seiner Ära, vielleicht sogar der Basketballgeschichte, verschwand trotz zuletzt starker Leistungen aus dem öffentlichen Blickfeld. Warum?

Der beste Dunker der Welt

Als er 1998 als fünfter Pick in die NBA kommt, wird er nach dem Abgang von MJ schneller Liebling der Massen, als er “Three-Sixty” sagen kann. Mehr noch als Grant Hili, Penny Hardaway oder der junge Kobe Bryant soll er der nächste MJ sein. Da er ebenso wie der Altmeister von den Tar Heels kommt und durch seine Hangtime beeindruckt, liegt diese Bürde nahe. Anfangs läuft auch alles nach Plan. Als amtierender Rookie des Jahres (mit 113 von 118 möglichen Punkten) gewinnt er im Frühjahr 2000 den legendären Dunk-Contest gegen seinen Cousin Tracy McGrady und schenkt der Basketballwelt im Sommer mit dem olympischen Flug über Frankreichs Frederic Weis den besten Dunk aller Zeiten. Scheinbar jede Saison bekommt er einen neuen Spitznamen verpasst, und sein Antlitz findet in den ersten anderthalb Jahren nach der Jahrtausendwende zwei Mal den Weg aufs Titelbild der “Sports Illustrated”. Acht Jahre in Folge wird er ins All-Star-Team gewählt, vier Mal erhält er dabei die meisten Stimmen der Fans – etwas, das außer ihm nur Jordan (vier Mal) und Julius Erving (neun Mal) geschafft haben. Aber als sowohl in Toronto als auch in New Jersey die tiefen Ritte in die Postseason ausbleiben und seine Teams in keinem Jahr mehr als 49 Siege holen, wächst die Kritik. Mit beiden Klubs erreicht er drei Mal die Playoffs, zwei Mal geht es in die zweite Runde, weiter aber nie – und fünf Mal gibt er im Mai sowie Juni den unbeteiligten Beobachter. Immer genauer suchen viele enttäuschte Fans nach Ansatzpunkten für ihre Kritik. Die Tatsache, dass er 2001 am Tag vor dem siebten Spiel der zweiten Runde gegen die 76ers eine Feier zu seinem Studienabschluss besucht, ist solch ein Ansatzpunkt. Vor allem, als er später zwei Sekunden vor der Sirene den Gamewinner vergibt. Ebenso sein Interview nach dem Abgang in Toronto im Januar 2005, in dem Carter zugibt, dass er bei den Raptors nicht immer so hart wie möglich auf dem Parkett gekämpft habe.

In kurzer Zeit wird aus Verehrung vielerorts Verachtung. Carter wird zum verletzungsanfälligen Schönspieler abgestempelt – einer, der zwar Talent, aber kein Interesse daran hat, dieses durch harte Arbeit zur vollen Blüte gedeihen zu lassen. Er sei ein Ballermann ohne Gewissen, so der Tenor, der aus Angst vor hartem Kontakt immer seltener den Weg ins Land unter den Körben suchen würde, um stattdessen feige aus der Distanz draufzuhalten.

Sein alter UNC-Kommilitone Antawn Jamison (31 Playoffspiele), für den er nach der Draft getradet wurde, wird als besserer Spieler tituliert, ebenso das wandelnde Erstrundenaus aus seiner Familie, das auf den Namen T-Mac (38) hört. Dass er noch heute mit 42 Partien mehr Erfahrung bezüglich der Postseason besitzt als die beiden, interessiert nicht. Dem Olympiasieger von 2000, der zwei Mal im Final Four der NCAA stand, wird abgesprochen, wirklich gewinnen zu wollen. In der Folge werden seine Spitznamen verulkt, 2008 wird er erstmals nicht zum AII-Star-Weekend eingeladen3, und als die Nets in den abgelaufenen bei den Spielzeiten die Playoffs verpassen, rutscht Carter im kollektiven Gedächtnis der Basketball-Gemeinde immer weiter nach hinten. Dass er in den vier Jahren in NewJersey nur elf von 328 Saisonspielen verpasst, interessiert nicht. Ebenso wenig, dass er in einem schwach besetzten Kader starke individuelle Leistungen zeigt und mehrmals mit Gamewinnern Nerven in der Crunchtime beweist. All das ist sekundär … das Urteil war gesprochen!

Erstmals kein Franchise-Player

In Orlando hat Carter nun die Möglichkeit, sich in ein anderes Licht zu stellen… auch wenn er versucht, die Aufmerksamkeit von seiner eigenen Situation wegzulenken: “Es geht hier nicht um mich, sondern um uns. Ich bin hier, um zu helfen und die Mannschaft auf das nächste Level zu bringen. Ich möchte zeigen, dass ich ein sehr gutes Team noch besser machen kann.” Es scheint, dass er bei den Magic lieber hineinpassen als herausragen möchte, aber dennoch:ie Situation ist ein Novum für ihn. Nicht nur, dass er in seiner Heimat spielt, erstmals in seiner Profi karriere steht er auch in einem Kader, der zu den stärksten der Liga gehört. Er ist zudem nicht länger mit der Bürde des Franchise-Players belastet – die trägt Dwight Howard auf seinen breiten Schultern. Außerdem steht er nicht wie früher so oft als Scorer alleine da, sondern hat mit Howard, Jameer Nelson und Rashard Lewis drei All Stars an seiner Seite. Howard und Nelson haben vergangene Saison nach der letzten Niederlage bis zum bitteren Ende zugeschaut, wie die Lakers in ihrer Arena den Titel feierten, “um uns später durch die Erinnerung daran für diese Saison zu motivieren”, sagt Howard. Carter war noch nie Teil einer Truppe, die so dermaßen heiß auf die Meisterschaft ist.

“Ich bin mehr als angetan von der Chance, um den Titel mitzuspielen”, sagt er. “Es ist eine Sache, bei einem Team zu spielen, das eventuell eine Chance aufs Finale hätte, wenn alles gut laufen würde, aber hier bei uns ist das eine ganz andere Sache. Wir haben realistische Chancen aufs Finale. Das ist sehr spannend. Ich bin bereit für diese Herausforderung. Das ist kein Druck für mich, sondern eher aufregend.”

Nach der Finalniederlage gegen die Lakers ging Magic-GM Otis Smith ein großes Risiko ein, als er mit Rafer Alston, Courtney Lee und Hedo Türkoglu drei Starter aus den Finals ziehen ließ und neben Carter vier weitere neue Profis verpflichtete’. Die größten Wellen schlug dabei mit Sicherheit der Austausch des türkischen Point Forwards gegen Carter. Natürlich ist VC der bessere Spieler, aber ist er auch das besser passende Puzzleteil? Ob es eine gute Entscheidung war, wird sich abschließend erst nach den Playoffs beantworten lassen, aber schon jetzt ist zu erkennen, dass Stan Van Gundy durch den Tausch taktisch mehr Möglichkeiten hat. Der Headcoach der Magic kann jetzt vielseitiger spielen als mit Türkoglu, weil Carter sowohl auf der Drei als auch auf der Zwei spielen kann. Türkoglu dagegen hatte defensiv gegen die guten Shooting Guards der Liga mehr als nur leichte Probleme. Bei Carter ist das nicht der Fall, und dadurch kann Rashard Lewis auch mal als Small Forward auflaufen, wodurch im stark besetzten Frontcourt mehr Minuten für Ryan Anderson, Marcin Gortat und Brandon Bass abfallen könnten.

Wichtig für die Crunchtime

Zudem ist Carter für die Schlussphasen knapper Spiele der bessere Scorer als Türkoglu. Wo es zuletzt in der Crunchtime immer ein Pick-and-Roll mit Türkoglu gegeben hat, wird jetzt für Carter auch gerne mal das Spiel weit gemacht, damit er von oben an der Birne alleine operieren kann. “Vince kann sich jederzeit von überall seinen eigenen Wurf kreieren”, sagt Van Gundy, “und die besten Teams haben so einen Go-to-Guy: Kobe Bryant, Paul Pierce,LeBron James, Dwyane Wade, Joe Johnson, Carmelo Anthony … da kannst du die Liste durchgehen. Und mit Vince haben wir nun ebenfalls einen Spieler, der seinen Wurf loswerden kann, auch wenn er gut verteidigt wird.” Gerade in Situationen, in denen ein Spieler isoliert eins-gegen-eins spielen solle, würde Carter dem Spiel der Magie eine neue Dimension geben.

Die ersten zwei Monate der Saison bestätigen die Einschätzung Van Gundys. Beim 106:98 gegen die Pacers trifft Carter in der entscheidenden Phase kurz vor Schluss vier Freiwürfe, beim 126: 118 gegen die Warriors liefert er 19 Punkte in der zweiten Hälfte, acht davon von der Linie. Gegen die Bucks muss er nach fünf Minuten mit vier Stichen am Mund genäht werden, kommt zurück und sichert seinem Team mit zehn Punkten im letzten Viertel das 100:98. Auch beim 83:78 in Boston liefert er in der bis dato härtesten Partie Orlandos zehn Punkte im letzten Viertel. Carter ist mit 19,3 Punkten im Schnitt nicht nur der Topscorer Orlandos, sondern macht auch speziell im letzten Viertel die meisten Punkte und ist laut den Experten von 82games.com der beste Crunchtlme-Scorer der Magic. Er habe nichts dagegen, der Mann für die entscheidenden Würfe zu sein, sagt er. “Wenn der Coach mir vertraut, dass ich die richtige Entscheidung treffe, wenn er den Ball am Ende in meinen Händen sehen will, werde ich versuchen, das Spiel nach Hause zu schaukeln.”

Solche Worte hört Van Gundy gerne, denn anfangs übertrieb es der Neuzugang seiner Meinung nach mit dem Einfügen ins neue Team. Carter sei ihm fast zu selbstlos, sagte der Headcoach noch während der Vorbereitungsspiele, er aber wolle, dass “Vince einfach Vince ist und aggressiver spielt”. Auch andere Aspekte, die früher kritisiert wurden, werden in Orlando gelassener gesehen. Zum Beispiel zieht er im Schnitt wieder mal weniger Freiwürfe als in der Vorsaison (4,7 zu 5,1). Allerdings spielt er jetzt aber auch fünf Minuten weniger und hat mit Howard einen dicken Center, der zum einen hin und wieder den nötigen Platz für foulträchtige Drives versperrt und andererseits seinem neuen Kollegen viele offene Distanzwürfe beschert, da Superman oft im Post gedoppelt wird.

Auch die Tatsache, dass Carters Wurfquote die schlechteste seiner NBA-Karriere ist und er dennoch deutlich mehr Würfe als Franchise-Player Howard nimmtS, ruft bisher noch keinen Ärger hervor. “Ich weiß genau, was Vince kann und wie gut er sein kann, und das wird er auch noch konstanter zeigen”,sagt Howard. “Er ist neu hier im Team und muss sich erst akklimatisieren.

Ich bin jedoch positiv überrascht, wie gut das Zusammenspiel bereits klappt. Wir ziehen hier alle an einem Strang, unser großes Ziel ist der Titel. Da ist kein Platz für Streit innerhalb des Teams.”

Was auch immer nötig ist …

Vielleicht sind seine Kollegen so entspannt, weil sie sehen, dass Carter tut,was immer gerade für den Teamerfolg nötig ist. Als er beispielsweise Mitte November nach einer Verletzungspause von drei Spielen zurückkommt, verzichtet er, der bis auf sieben Spiele in der NBA immer Starter war, gegen die Bobcats auf seinen Platz in der Ersten Fünf. Er habe nicht zerstören wollen, was in der Partie vorher in den ersten Minuten so gut funktioniert habe, sagt er später. “Genau das ist meine Mentalität, seit ich getradet worden bin. Ich möchte mich einfügen. Natürlich möchte ich die Person sein, die ich bin, und auch der Spieler, der ich bin, aber ich komme nicht hierher und sage, dass ich der Führungsspieler in diesem Team sein muss.” Auch gegen sich selbst ist er härter, als es viele in Erinnerung haben. Gegen die Pacers läuft er trotz Magenverstimmung auf und macht 28 Punkte, gegen die Bucks wird er von Ersan lIyasova mit der Schulter am Kopf getroffen und knallt auf den Boden, spielt nach drei Minuten Pause aber weiter und liefert insgesamt 25 Punkte. Bisher läuft es gut für die Magic. Wie erwartet stehen sie mit Boston und Cleveland an der Spitze der Eastern Conference. 13.000 verkaufte Dauerkarten sind neuer Rekord, die Erwartungshaltung des Umfeldes ist klar: Der Titel muss her! Die Magic-Fans mussten einst zuschauen, wie erst Shaq und später T-Mac der Franchise den Rücken kehrten, sahen Grant Hili auf Krücken kommen und mit 93 Millionen Dollar wieder gehen – dieses Jahr wären sie nur zufrieden, wenn sie nach der letzten Partie feiern dürfen. Für Carter wäre es die Kehrtwende in seiner Karriere. Nichts verändert das Image eines Spielers so sehr wie ein Titel. Das war in der jüngeren Vergangenheit bei Rasheed Wallace und Chauncey Billups in Detroit zu sehen sowie bei Kevin Garnett, Ray Allen und Paul Pierce in Boston. Anders als beispielsweise Gary payton, der im Spätherbst seiner Karriere mit den Heat seinen Championship-Ring abgriff, wäre Carter mit seinen jetzigen Leistungen zudem eine der tragenden Säulen des Erfolgs. Falls er einen Titel nach Orlando bringen würde, könnte dies die ersten elf Jahre seiner Profikarriere zwar nicht ausradieren, aber doch erheblich relativieren. Er würde immer als der Spieler in Erinnerung bleiben, der die erste Meisterschaft in seine Heimat geholt hat.