Danny Granger fällt nicht auf. Wenn man sich irgendwo im US-Bundesstaat Indiana inmitten einer Mall platzieren und eine Umfrage zum Thema “Was oder wer fällt Ihnen spontan zum Thema Basketball in Indiana ein?” starten würde, bekäme man überraschende Antworten. Wahrscheinlich würden im US-Basketball-Staat Nr. 1 die meisten über die Hoosiers reden – die geliebte Truppe der Indiana University. Etliche noch über deren kontroversen Ex-Coach Bobby Knight. Man wird vom berühmtesten Sohn eines Kaffs namens French Lick schwärmen. Einem gewissen Larry Bird. Und der ein oder andere dürfte die Miene verziehen, verächtlich vom Kautabak verfärbten Speichel in einen Mülleimer spucken und jene Pacers erwähnen, die 2004 beim “Basketbrawl” gegen die Pistons die Ehre des Staates in den Schmutz gezogen haben. Fraglich, ob überhaupt einem Danny Granger in den Sinn kommen würde. Dabei wird es höchste Zeit, dass sich das ändert. Nicht nur in Indiana. Und nicht nur, weil er in dieser Saison ins All-Star-Team berufen wurde …
Elektro-Freak
Natürlich kann man diese Berufung zum Anlass nehmen, Danny Granger genauer in Augenschein zu nehmen. Genauso wie dessen Nominierung für den Dreier-Contest. Oder die 25,6 Punkte pro Spiel und fast 40-prozentige Quote von Downtown, die maßgeblich zu diesen Auszeichnungen beigetragen haben. Aber zum einen ist die Basketball-technische Bilanz nur eine Seite der Medaille, die Danny Granger das Potenzial gibt, mehr zu sein als “nur” ein zum ersten Mal ins AII-Star-Team Berufener. Und zum anderen bietet die Rückseite der Medaille genügend Storys und Anekdoten, um sie mal länger als nur für fünf Minuten umzudrehen und einen intensiven Blick darauf zu werfen. Auf einen ungewöhnlichen Typen, der irgendwie wie jeder andere und doch ganz anders ist.
Denn wer Danny Granger reden hört, der wird nicht viel Zeit verstreichen lassen, bis er sich mit einem verwunderten “Deja vu”-Feeling am Hinterkopf kratzt und sich fragt, wo er das schon mal gehört hat. “Ich liebe Videogames über alles”, schwärmt er gerne. “Ich spiele ständig und gucke eine Menge Filme, habe inzwischen weit über 2.000 DVDs.” Damit steht Danny G. kaum allein da in der exklusiven Bruderschaft, die sich NBA-Spieler nennt. Geschätzte99,87 Prozent dieser Clique daddelt sich regelmäßig die Daumen taub. Zu Hause, vor Spielen, vor allem aber auf langen Road-Trips. Im Hotel, Bus und Flieger. Was DVDs angeht, weiß jeder, der eine Handvoll MTV-Cribs-Folgen kennt, dass der durchschnittliche NBA-Spieler die Silberlinge sammelt wie der Streber gute Schulnoten. Danny Granger stellt da keine Ausnahme dar. Viele Scheiben hat der 25-Jährige schon mehr als ein Mal gekauft. Eine Version für zu Hause, eine als portables Futter für unterwegs und eine dritte, weil Nummer eins oder zwei in irgendeinem Hotel zwischen die Betten gerutscht ist.
Technik-versessen sind NBA-Stars durch die Bank. Kein Wunder: Sie sind jung, mit jeder Menge Zeit und dem nötigen Kleingeld ausgestattet, um jeden noch so absurden Traum zu erfüllen. Diese Dinge zu nutzen ist jedoch eine Sache, wirklich etwas davon zu verstehen eine völlig andere. Und so dürfte Danny Granger mit sehr großer Wahrscheinlichkeit der einzige NBAler sein, der das hoch komplizierte Sound system in seinem Haus selbst installieren konnte. Der Hunderte Meter Kabel durch die Wände gezogen hat, ohne dabei einen Stromschlag zu bekommen . ..Ichhabe die Schaltkreise eingesetzt und die Schutzschalter repariert, als sie kaputtgegangen sind, und Arbeiten gemacht, die mich insgesamt bestimmt 30.000 Dollar gekostet hätten”, erklärt Granger.
Offiziell mag er einem aufstrebenden NBA-Star ähneln, inoffiziell aber machen ihn seine technischen Fähigkeiten zum 1-a-Prototypen des NBANerds. “Auf einer Skala von eins bis zehn auf der Nerd-Skala hab ich im Technik-Bereich sicher eine Sieben”, grinst der Sohn eines Elektrikers. ,Als Kind hatte ich schon so einen Rufweg, vor allem, weil mein Vater mir diese Steve-Urkel-Brille verpasst hatte, mit einer Halteschnur. Aber ich war halt auch intelligent.”
Intelligent genug, um nicht den Fehler vieler Altersgenossen zu begehen, in all den Highschool- und Collegejahren einzig und allein einem Traum hinterherzuhecheln, der für die wenigsten wahr wird und den meisten ein jähes und unangenehmes Aufwachen beschert. Natürlich war auch der junge Danny Granger ein talentierter Nachwuchs-Baller. Ein sehr talentierter sogar. Talentiert genug für den Traum von der großen Liga. Vor allem aber schon gut genug, um nach der Highschool den Schritt zu gehen, der den meisten, meist schwarzen, Jugendlichen aus sozial schwächeren Schichten verwehrt bleibt: den Sprung ans College. Er hat sein Talent und seinen Sport erst mal als Mittl zum Zweck angesehen. Um eine gute Ausbildung kostenlos zu genießen, die sonst gut und gerne den Kaufpreis eines netten Mittelklassewagens erreicht hätte. Pro Jahr! “Mein ganzes Ziel war nur, Basketball zu nutzen, um einen Abschluss zu machen.
Für diese Liebe hat Granger einiges auf sich genommen. Während für den normalen Studenten die Zeit am College oft die schönsten Jahre des Lebens darstellen, stellten sie sich für Danny Granger gerade anfangs als eine deftige Probe heraus. “Meine ersten beiden Jahre an der Bradley University waren wirklich anstrengend, weil das Ingenieurs-Studium dort wirklich sehr gut und sehr hart ist”, erklärt der heute 25-Jährige. “Ich musste Basketball mit Physik, Mathe und den ganzen anderen Fächern kombinieren. Ich kann mich daran erinnern, dass ich meine Hausaufgaben bis ein Uhr nachts gemacht habe und dann frühmorgens wieder trainieren musste.” Wenn man eine Umfrage unter den 200ger-AII-Star-Kollegen Grangers starten würde, dann dürften wohl die wenigsten diese Erinnerungen teilen. Highschooler wie Kobe Bryant und LeBron James hatten mit diesem Leben schon per se nie etwas am Hut. Aber auch jene, die am College waren, konnten sich dort meist entspannt zurücklehnen …
Offiziell nennt man die Sportler an US-Universitäten “Student Athletes”. Aber vor allem an den für bestimmte Sportarten bekannten Unis stellen die talentierten Spieler mit Profi-Potenzial in erster, zweiter und dritter Linie Athleten dar. Natürlich studieren sie. Offiziell. Inoffiziell dürfen sie sich den Stundenplan mit lächerlichen Fächern wie “Gesellschaftstanz” oder sogar “Basketball-Geschichte” vollpacken. Nicht selten kommt es vor, dass andere Studenten die Hausaufgaben schreiben, Professoren massive Fehlstundenzahlen dulden und die Uni-Präsidenten beide Augen zudrücken, wenn es um die schulischen Leistungen geht. Solange die sportlichen stimmen! Denn die bringen Prestige und oft jede Menge Geld.
Genau das hatte natürlich auch Danny Granger vor Augen. Dessen Rechnung war einfach: Eine fundierte Ausbildung, für die er sich obendrein nicht verschulden muss, sichert ihm einen guten Job, der wiederum ein stabiles, wenn nicht sogar hohes Einkommen garantiert. Das funktionierte so gut, dass Danny Granger an der Elite-Uni Yale hätte studieren können. Ein Karriereplan, der als einfache Rechnung aufzugehen schien. Bis Granger irgendwann selbst einen dicken Schlussstrich darunter gezogen hat. Weil er nicht mehr nur gut war, sondern zu gut für seinen eigenen Plan.
“Die Leistungssteigerung kam wie aus dem Nichts”, wundert sich der Small Forward noch heute. “Aber auf einmal habe ich Awards gewonnen und irgendwann realisiert, dass ich es wahrscheinlich bis in die NBA schaffen würde. Da hat sich mein Fokus dann etwas verändert.” Das Problem an der Sache: Die Bradley University mag schon einige exzellente Ingenieure ausgebildet haben, aber als Brutstätte für NBA-Talente ist sie weitgehend unbekannt. Einzig der siebenfache NBA-AII-Star Chet Walker und Ex-Sonics-Scharfschütze Hersey Hawkins konnten sich als ehemalige “Bradley Braves” in der stärksten Liga der Welt durchsetzen.
Es gibt zwei Möglichkeiten in solch einer Situation. Entweder man stellt auf stur, verändert den Status quo nicht und versucht, auch in der Basketball- Diaspora so aufzutrumpfen, dass die Liga einen nicht übersehen kann. Oder man wechselt das Team. Granger entschied sich für Letzteres … und für die University of New Mexico.
Diese ist groß genug, um im Blickfeld der NBA zu stehen, aber klein genug, um Granger die Möglichkeit zu geben, vom ersten Tag an der Star der Truppe zu sein. Dafür nahm er in Kauf, fast ein Jahr lang aussetzen zu müssen. So sind die Regeln der NCAA.
Ganz anders sahen die Regeln von Danny Granger senior aus. Wenn der Junior vom beschaulichen IIlinois nach Albuquerque zieht, dann zieht der Vater mit. Ende der Diskussion. Das klingt erst mal seltsam. Ein junger Erwachsener, auf eigenen Füßen und auf dem besten Weg, jede Menge Geld zu verdienen – ein Dad als Aufpasser passt da irgendwie nicht dazu. Jedenfalls nicht vor Ort. Aber so war es früher, und so sollte es bleiben in den Augen von Granger senior. Da ließ Daddy nicht mit sich reden.
“Ich habe als Kind und Jugendlicher genauso Unfug getrieben wie anderein meinem Alter”, zieht Danny Granger junior den Vergleich mit Gleichaltrigen. “Aber ich habe nie etwas so Schlimmes getan, wie Drogen zu verkaufen oder jemandem eine Knarre an den Kopf zu halten. Ich hatte viel zu viel Schiss davor, dass mein Vater mich killen würde, wenn ich das tue.”
Wie so viele andere, vorwiegend schwarze Sportstars in den USA verfügt auch der Pacers-Star über Wurzeln in einer Gegend, die Optimisten als einfach und Pessimisten als Getto bezeichnen würden. Tief im Süden, in Louisiana, wo Jobmangel seit Jahrzehnten Tradition hat, sorgte Grangers Vater mit eiserner Hand und jeder Menge Disziplin dafür, dass sein Nachwuchs auf ehrliche Art und Weise und nicht über die schiefe Bahn den Ausweg aus einfachen Verhältnissen finden würde. Das hieß vor allem eins: Pauken, pauken, pauken! “Darum ging es meinem Vater stets: um schulische Leistung”, erinnert sich Danny Granger. “Er wollte schon, dass ich Basketball spiele, aber er hätte mich nie auf eine Schule geschickt, nur weil sie ein gutes Basketball-Team hat.”
Da passt es ins Bild, dass der Vater dem Sohn einen eigenen Court baute, inklusive Flutlicht. Direkt neben dem elterlichen Wohnhaus. Nicht – was naheläge -, um ihm den Weg zu einer NBA-Karriere zu ebnen, sondern um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass er irgendwo anders auf dumme Gedanken kommt. Weil Grangers Heimatort Metairie, im übertragenen Sinne, nicht zu den sonnigsten Orten dieser Erde zählt und das Behüten des eigenen Nachwuchses wohl zu den natürlichsten Elterntrieben gehört, kann man das nachvollziehen.
Nur: Bei Danny junior wollte Papa ganz auf Nummer sicher gehen. Nicht nur in New Mexico, sondern auch auf der nächsten Stufe der Karriere-Leiter seines sportlich talentierten Sohnes war er dabei. Nicht als schnell erreichbare Unterstützung im Geiste – sondern live. Vor Ort. In Fleisch und Blut. Zwei Generationen von Grangers vereint in Indianapolis. Unter einem Dach.
Dass Granger senior inzwischen dann doch die Wohngemeinschaft mit seinem Sohn und der zukünftigen Schwiegertochter verlassen hat, ändert nichts an der innigen Beziehung der beiden und dem Resultat der strengen Erziehung. “Ich kann Danny nur als einen Menschen mit höchstem Charakter bezeichnen”, schwärmt dessen Ex-College-Coach Ritchie McKay.
Gerade deshalb sorgt die Entscheidung vieler NBA-Teams, Granger in der vorderen Hälfte der ersten Draft-Runde 2005 so eklatant zu übersehen, für Kopfschütteln. Denn immer wieder haben Teams in den vergangenen Jahren darauf gesetzt, nicht nur die sportliche Komponente in den Vordergrund zu rücken, sondern auch den familiären Background und die menschliche Seite zu checken. Die Portland Trail Blazers – man erinnert sich – bauten nach dem Publicity-Desaster der “Jailblazer” -Jahre um Rasheed Wallace und Damon Stoudemire gar eine kornplett neue Mannschaft unter diesem Motto auf. Als Musterbeispiel dafür galt und gilt Martell Webster. Gedraftet an sechster Stelle. Wegen seiner Qualitäten als Shooter und als Mensch.
Rückblickend rnuss man sich fragen, wo ein Danny Granger in den Gedankengang dieser Entscheidungsfindung passt. Vom Talent her konnte ,,00″ dem Forward der Blazers locker das Wasser reichen. Auf der menschlichen Ebene allem Anschein nach auch. Also ist Granger wohl ein Paradebeispiel für einen Trend in der NBA, unerfahrenen Spielern eine große Zukunft vorherzusagen und jene mit vier Jahren College-Erfahrung schon vor der ersten NBA-Minute zum alten Eisen zu erklären. Man hat diese “Jungs” vier Jahre beobachten können und glaubt zu wissen, was sie bieten. Was man kennt, ist halt nicht
So sexy.
So kommt es immer wieder vor, dass der völlig blauäugige, aber mit einer immensen Armspannweite und guter Sprungkraft ausgestattete Nachwuchs-Big-Man Webster für das, was er sein könnte, einem Spieler wie Granger vorgezogen wird. Der bietet im Gegensatz dazu zwar Sicherheit, aber kaum Entwicklungsmöglichkeiten. So das herrschende Vorurteil.
Dass Danny Granger einer jener Spieler ist, die zeigen, dass man sich auch als Spieler mit vier Jahren College noch wesentlich verbessern kann, führt Houston-Rockets-Star Ron Artest auf die von Granger senior gepredigte Arbeitsmoral zurück. “Danny hat sich nicht auf sein angeborenes Talent verlassen und sich mit dem Erreichten zufriedengegeben”, glaubt Artest, der mit Granger in der Saison 2005/06 zusammengespielt hat. “Er maximiert sein Talent zurzeit wirklich optimal.”
Dass dieses Attribut zumeist den wirklich überragenden Spielern dieser Sportart zugeschrieben wird, ändert nichts an der Tatsache, dass der Shootingstar dieser Saison momentan nicht mehr darstellt als einen sehr starken Spieler in einer arg mittelmäßigen Truppe. Die Pacers spielen zwar attraktiven, schnellen Basketball und sind mit rund 105 Punkten pro Partie das drittbeste Scoring-Team der Liga, aber mit den Playoffs hat das Team allem Anschein nach nichts zu tun. “Wir haben nicht DAS Gesicht der Franchise”, glaubt derweil auch Indianas Coach Jim O’Brien. “Wir sind als Team stark. Aber Danny Granger ist ein sehr, sehr guter Spieler. Er hat die beste Plus-minus-Statistik unseres Teams, er ist ein solider Leader und zusammen mit Mike Dunleavy einer unserer Captains. Er ist ein Scorer, aber auch ein solider Defender. Alles in allem ziemlich vielseitig also.”
Natürlich stechen trotz der 1,0 Steals, 1,5 Blocks und 5,0 Rebounds vor allem Grangers 25,6 Punkte pro Spiel ins Auge, die ihn zum fünftbesten Scorer der Liga machen. Das resultiert sicherlich aus dem Talent Grangers, aber zum Teil eben auch aus dem offensiv ausgerichteten System seines Coaches, der seine Jungs mehr Dreier nehmen lässt als 27 andere Teams dieser Liga. Und Granger trifft nahezu 40 Prozent seiner Versuche von Downtown. Als Spot-up-Shooter gehört er schon jetzt zu den Besten dieser Liga. Seine Kritiker bemängeln indes gerne, dass der Schuss aus dem Dribbling eher mittelmäßig ist und sein Ballhandling sowie Passspiel noch einen kräftigen Verbesserungsschub vertragen können, um Granger wirklich in höhere Starsphären der Liga zu katapultieren. Letzten Endes hängt es zu einem gewissen Teil von Granger selbst ab, ob er ein starker Scorer in einem schwachen Team bleibt oder ein echter Superstar wird, der seine Mannschaft zum Erfolg powert. Zumindest hat er bei den Pacers noch einen Vertrag bis 2014, der ihm 60 Millionen Dollar garantiert.
Egal ob bei den Pacers oder in einem anderen, besseren Team: In den nächsten Jahren wird man noch viel von Danny Granger hören. Und wenn es überraschenderweise doch nichts mehr mit einer Superstar-Karriere in der NBA werden sollte, kann sich der Pacers-Forward ja immer noch auf seine anderen Talente besinnen. Davon hat er ja genug. Und sei es als Elektriker.
Quelle: 4/2009