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Gegen den Wind

Donnerstag, 6. Mai 2010

Top-Draft-Pick Derrick Rose soll die Chicago lulls wieder auf Erfolgskurs bringen. Doch an den luftigen Erwartungen in der Windy City sind vor dem 19-jährigen Playmaker schon viele andere Youngster gescheitert.

Noch immer trauern die Fans in Chicago dem 90er-Team um Michael Jordan und Scottie Pippen hinterher. Was für Zeiten: Sechs Meisterschaften und immer eine ausverkaufte Hütte. Die Bullen von heute sind dagegen nur noch zahme Kälber. Vergangene Saison qualifizierten sie sich nicht mal mehr für die Playoffs, positive Schlagzeilen gab es nur selten. Was vor allem fehlte, war ein Führungsspieler. Einer, der eine neue Ära einleitet. Stolz und Erfolg zurückbringt. Ein Erlöser. Den hofft man jetzt beim Draft gefunden zu haben: Mit Top-Pick Derrick Rose. Der Point Guard ist zwar erst 19 Jahre jung und mit nur einem Jahr College-Erfahrung ausgestattet, dafür aber unglaublich talentiert. “Derrick ist ein ganz besonderer Spieler, der uns zurück nach oben führen kann”, schwärmt Bulls-Manager John Paxson von seinem Nachwuchs-Star. “Wir erhoffen uns sehr viel von ihm.” Willkommen im Haifischbecken NBA, Mr. Rose!

Ausgewiesener Winner

Auf dem Papier ist Rose ein Ausnahmetalent, wie es nur alle Jubeljahre die NBA-Bühne betritt. Als Highschooler gewann er zwei Championships und erzielte in seinem letzten Jahr 25,2 Punkte, 9,1 Assists und 8,8 Rebounds im Schnitt. Seine Dunks, Dribblings, Drives und Zuckerpässe wurden schnell zu Hits auf youtube.com.

Auf dem nächsten Level ging es so weiter: Rose trug die Memphis Tigers in seiner einzigen College-Saison bis ins Finale des NCAA-Turniers. Dort siegten zwar trotz seiner 18 Punkte und acht Assists die Kansas Jayhawks, doch Rose hatte sein “Winner-Gen” bis dahin schon längst bewiesen. Herz, Hirn und Game – das komplette Paket! “Er kann individuell alles, agiert aber uneigennützig”, schwärmt deshalb ESPN Experte Jay Bilas.

Kein Zweifel: Rose hat das Zeug zum Superstar. Doch bis dahin ist es ein langer Weg. Und nirgendwo ist er steiniger als in Chicago. Der 1,91 Meter große und 86 Kilo schwere Rookie steht also vor einer der größten Herausforderungen der NBA-Geschichte.

Schwerer Start

Auf seinen Schultern, von denen in der kommenden Saison das Trikot mit der passenden Nummer 1 hängen wird, lastet nämlich ein gewaltiger Druck. Da wäre zum einen die Tatsache, dass in den letzten 30 Jahren außer Rose nur zwei Guards an erster Stelle gedraftet wurden: Allen “The Answer” Iverson (1996) und Earvin “Magie” Johnson (1979). Beide wurden zu absoluten Megastars und jeweils MVP, Magie obendrein fünffaeher Champ mit den Lakers. Krasse Gesellschaft!

Damit nicht genug: Für den Nummer-eins-Pick hängt die Messlatte traditionell noch höher als für den Rest des Jahrgangs. Die Erwartungen sind immens, die Toleranzschwelle verschwindend gering. Jeder Schritt wird genau beobachtet. Analysiert. Verglichen. Beurteilt. Und verurteilt. So werden Fehler nicht nur schnell, sondern auch gerne gefunden. Jeder Wurf, der vom Ring abprallt, fällt auch auf den Youngster zurück.

Schwierig wird der Einstieg für Rose auch, weil er als Playmaker vom ersten Tag an zahlreiche neue Spielzüge beherrschen muss. Kann er das Tempo der Bulls bestimmen, ohne die NBAGeschwindigkeit zu kennen? Gelingt es ihm, die millionenschweren Egos um sich herum zu sättigen? Und als Frischling unter Veteranen zum Anführer aufzusteigen, ohne dabei arrogant oder selbstherrlich zu wirken?

Im direkten Kampf um seine Position muss Rose bei den Bulls erst einmal an Kirk Hinrich vorbei. Als wäre es nicht schwer genug, die Geschicke einer Multimillionendollar-Truppe zu lenken und den Spagat zwischen Teamplay und eigenem Spielfluss zu schaffen …

Dass er das gleich in seiner ersten Saison schaffen wird, glauben nur wenige: Bei einer Umfrage von ESPN.com hat kein einziger Fachmann auf den Top-Pick aus Chicago als kommenden “Rookie of the Year” getippt!

Bei all diesen Problemen ist ein biografisches Detail besonders interessant. Es könnte Rose’ Mission endgültig impossible machen: Er stammt aus Chicago! Und das ist nicht unbedingt ein Vorteil. Rose und seine drei Brüder wuchsen auf der South Side auf. Schon als Teenager avancierte Derrick zum Lokalhelden. Spätestens seit dem NBADraft kennt jeder den neuen Superstar der Stadt. Seine Freiheiten sind also eingeschränkt, weil Cheeseburger-Dinner, Clubbesuche und Alkoholkonsum sofort durch die Presse gehen. Ständig sind außerdem (falsche) Freunde und Familie herum, was für einen Profisportler eine nicht immer willkommene Ablenkung darstellt – schließlich verlangt sein Job vollste Konzentration.

Zusätzliche Probleme drohen Rose innerhalb der eigenen Reihen. Chicago ist für Rookies traditionell kein gutes Pflaster. Seit Jordans Abgang 1998 hat kein NBA-Team so viele junge Talente verheizt wie die Bulls (siehe Kasten). Immer wieder wurden Youngster dazu auserkoren, für Erfolge zu sorgen. Funktioniert hat das noch nie.

Man muss sich also fragen, ob Derrick Rose bei all seinem Talent überhaupt eine faire Chance hat. Um die Bulls zu retten, braucht er fast schon magische Kräfte. Da passt es ja, dass die Tätowierung auf seiner linken Schulter einen Zauberer zeigt, der einen Stab und einen Basketball hält. Er heißt “Poohdini”, ein Wortspiel aus dem Entfesselungskünstler Harry Houdini und Derricks Spitznamen “Winnie The Pooh” aus moppe ligen Kindertagen. Derrick, der Basketball-Magier?

Bisher hat Rose auf jedem Level begeistert und bewiesen, dass er ein NBA-Star werden kann. Aber ein “kann” reicht im Hexenkessel Chicago nicht.

JERMAINE O’NEAL: Endlich Schmerzfrei

Montag, 3. Mai 2010

Der Trade zu den Toronto Raptors ist für Jermaine O’Neal nicht nur ein Neustart. Es ist seine allerletzte Chance. Doch “JO” ist bereit, sie zu nutzen und es allen Kritikern zu zeigen!

Präsenz, Offense-Power, Explosivität und gutes Timing beim Blocken. Vier Attribute, die einen herausragenden Big Man auszeichnen. So einen wie Jermaine O’Neal. Zumindest, wenn man die erste Phase seiner NBA-Karriere bei den Indiana Pacers betrachtet. Danach sorgte eine einzigartige Verletzungsserie dafür, dass der sechsmalige All Star nur noch selten spektakulär abhob. Vom gefeierten Franchise-Player ging’s abwärts bis hin zum ramponierten Buhmann der Indiana Pacers. Doch nun hat das Grauen ein Ende. Nach seinem Trade zu den Toronto Raptors’ erwartet den mittlerweile 30-Jährigen ein Neuanfang. Und zwar ein überaus vielversprechender. Denn etwas Besseres hätte “JO” überhaupt nicht passieren können.

Neu sind für ihn in Kanada nicht nur Stadt, Land, Leute, Mannschaftskollegen und die Trikots, sondern auch das Feeling auf dem Court. “Ich fühle mich fantastisch, fast wie neugeboren”, sagte O’Neal euphorisch bei seiner Vorstellung in der Metropole am Lake Ontario. “Ich bin so fit wie lange nicht mehr und, was das Wichtigste ist, endlich wieder schmerzfrei. Zum ersten Mal seit über zwei Jahren!”

Nur noch ein Wrack

Schmerzfrei – ein Adjektiv, das in Jermaine O’Neals Wortschatz schon fast in Vergessenheit geraten war. Satte 27 Spiele, also knapp ein Drittel der regulären Saison, hat er in den vergangenen vier Jahren im Durchschnitt verpasst. Und da ist die 15-Spiele-Sperre nach dem Brawl in Detroit, bei dem der 118-Kilo-Koloss auf dem Spielfeld einen Fan ausknockte, nicht mal miteingerechnet! Die Liste seiner Verletzungen und Erkrankungen ist schier endlos lang: schwere Knieprellung links, Bänderdehnung linkes Knie, Knochenstauchung linkes Knie, Arthroskopie linkes Knie, Leistenbruch links, Lungenentzündung, Schulterprobleme rechts, Bänderdehnung linker Knöchel.

Und das auch noch als Franchise-Player! Als Superstar eines Teams, das O’Neal 2004 mit 20,1 Punkten, 10,0 Rebounds und 2,5 Blocks erst zur besten Bilanz der Liga (61 :21 Siege) und dann bis ins Conference-Finale (2:4 gegen den späteren Champ Detroit) geführt hatte. Seine Leistungen hatten maßgeblichen Anteil an lndianas Aufstieg, seine Leidensgeschichte dementsprechend auch am folgenden Absturz der Pacers. Denen blieb zuletzt zwei Male in Folge in den Playoffs nur die Zuschauerrolle auf der Couch. Und wer war schuld daran? Klar, O’Neal! Der Held von einst wurde nur noch höhnisch “Jer-pain” genannt. Auch so was schmerzt.

“Rückblickend habe ich vieles falsch gemacht. Zum Beispiel verletzt zu spielen, statt sinnvolle Pausen einzulegen, weil ich das Team nicht im Stich lassen wollte”, erklärt der 2,11 Meter große Forward. ,Aber anscheinend hat niemand gemerkt, dass ich zwei Jahre quasi auf einem Bein gespielt habe. Es zählten nur meine Stats”, die logischerweise ziemlich in den Keller gegangen sind. Deshalb war es jetzt an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen.”

Neustart in Kanada

Die einstige Traumehe zwischen dem Big Man, der sich in lndiana vom talentierten Youngster zum etablierten All Star und einem gefürchteten NBADefender entwickelt hatte, und den Pacers war nach acht gemeinsamen Jahren zerrüttet. “So wie die letzte Zeit gelaufen ist, mit all den Niederlagen und der negativen Presse nach dem Brawl, bin ich fast gestorben. Ich habe einfach den Spaß am Basketball verloren”, so O’Neal weiter. “Deshalb wollte ich einen kompletten Neustart. Ich bin jetzt mental viel stärker und habe den Sommer über sehr hart an meinem Körper gearbeitet, meine Ernährung umgestellt, mir einen neuen Betreuerstab zugelegt und einfach alles überdacht.”

Mit Fitness-Guru Joe Abunassar bereitet “JO”, dessen Athletik zu seinen großen Stärken zählt, seinen Körper gewissenhaft auf die neue NBA-Saison vor. Denn unter dem Zocken mit Schmerzen haben Balance, Haltung und einfachste Bewegungsmechanismen gelitten. “Jermaine war speziell bei Balanceübungen so schlecht, dass wir im ersten Monat komplett ohne Ball gearbeitet haben. Wir mussten viel korrigieren und bestimmte Muskelpartien besonders trainieren”, sagt Abunassar.

Die Quälerei hat Früchte getragen.

O’Neal präsentiert sich in Toronto laut eigener Aussage so fit wie lange nicht mehr. Die Verantwortlichen und die Fans der Raptors nehmen den Neuling dementsprechend mit Erleichterung auf, schließlich war der Trade nicht ganz risikofrei. Denn O’Neal bringt neben seiner Krankengeschichte auch das stattliche Gehalt von sage und schreibe 44 Millionen Dollar für die nächsten zwei Spielzeiten mit.

Unterordnen für den Erfolg

Fakt ist: Die Raptors haben nun einen der besten Rebounder und Verteidiger der Liga in ihren Reihen. Und ihr Franchise-Player Chris Bosh hat endlich die dringend nötige Frontcourt-Unterstützung und muss sich nicht mehr von den Brocken der Liga malträtieren lassen. “JO ist ein dominanter Lowpost-Scorer und eine Macht in der Zone. Er wird uns sehr helfen”, freut sich Bosh auf seinen neuen Partner. O’Neal verzichtet sogar auf “seine” Trikotnummer 7, die bereits Andrea Bargnani bei den Raptors trägt. “Ich will hier alles neu haben, deshalb habe ich die 6 genommen”, sagt O’Neal, der sich auch statt der gewohnten Cornrows mit neuem 3-Millimeter-Haarschnitt präsentiert. “Ich bin hier, um zu helfen.” Das schafft er locker, wenn Power und Explosivität endlich zurück sind.

Quelle: BASKET

NBA: Spieler: Vince Carter

Donnerstag, 22. April 2010

Vergangenen Sommer, irgendwann nach dem Trade zu den Magic, so berichtete Vince Carter kürzlich dem “Orlando Sentinei” , habe er auf der Terrasse seines Anwesens in Isleworth’ gestanden und sich beim Blick in den Sternenhimmel dort erstmals so richtig heimisch gefühlt. Die Villa im edlen Vorort von Orlando hat er bereits seit einigen Jahren, bisher allerdings nur als Sommerdomizil, da er während der Saison im … nun … nicht so schönen New Jersey weilen musste. Dann kam der Wechsel nach Orlando, und das veränderte so ziemlich alles für den fast 34-jährigen Swing man.

Raptors auf, beides Klubs in Städten, die mindestens 1.500 Kilometer von seiner Heimat Florida entfernt sind. Nun aber ist er dauerhaft zurück und verdient sein Geld weniger als eine Autostunde entfernt von seinem Geburtsort Daytona Beach. 1995 hatte er dort mit der Mainland Highschool die Staatsmeisterschaften gewonnen, danach aber Florida verlassen, um in North Carolina seine Basketball-Ausbildung an der University of North Carolina unter Trainerlegende Dean Smith fortzuführen. Sowohl für die Basketballanhänger in seiner Heimat als auch für Vince Carter selber war es damals ein sehr schmerzvoller Abschied …

“Vince hat immer davon geträumt, in Orlando zu spielen”, sagt sein ehemaliger Highschool-Trainer Charles Brinkerhoff, als er im Juni 2009 zum Trade seines Ziehsohns befragt wird. “Und jetzt endlich hat er die Chance dazu. Er ist sehr aufgeregt.” Für Carter ist der Wechsel zu den Magic aber nicht nur die Chance, in der Heimat zu spielen, sondern auch eine Möglichkeit, um die öffentliche Meinung über ihn und seine Karriere zu korrigieren. Bisher war er als athletischer Scorer mit guten Statistiken bekannt, der aber nicht unbedingt ein Gewinnertyp ist. Als er mit New Jersey die vergangenen beiden Jahre nicht mal die Playoffs erreichte, wurde er fast vergessen. Ausgerechnet er, der spektakulärste Dunker seiner Ära, vielleicht sogar der Basketballgeschichte, verschwand trotz zuletzt starker Leistungen aus dem öffentlichen Blickfeld. Warum?

Der beste Dunker der Welt

Als er 1998 als fünfter Pick in die NBA kommt, wird er nach dem Abgang von MJ schneller Liebling der Massen, als er “Three-Sixty” sagen kann. Mehr noch als Grant Hili, Penny Hardaway oder der junge Kobe Bryant soll er der nächste MJ sein. Da er ebenso wie der Altmeister von den Tar Heels kommt und durch seine Hangtime beeindruckt, liegt diese Bürde nahe. Anfangs läuft auch alles nach Plan. Als amtierender Rookie des Jahres (mit 113 von 118 möglichen Punkten) gewinnt er im Frühjahr 2000 den legendären Dunk-Contest gegen seinen Cousin Tracy McGrady und schenkt der Basketballwelt im Sommer mit dem olympischen Flug über Frankreichs Frederic Weis den besten Dunk aller Zeiten. Scheinbar jede Saison bekommt er einen neuen Spitznamen verpasst, und sein Antlitz findet in den ersten anderthalb Jahren nach der Jahrtausendwende zwei Mal den Weg aufs Titelbild der “Sports Illustrated”. Acht Jahre in Folge wird er ins All-Star-Team gewählt, vier Mal erhält er dabei die meisten Stimmen der Fans – etwas, das außer ihm nur Jordan (vier Mal) und Julius Erving (neun Mal) geschafft haben. Aber als sowohl in Toronto als auch in New Jersey die tiefen Ritte in die Postseason ausbleiben und seine Teams in keinem Jahr mehr als 49 Siege holen, wächst die Kritik. Mit beiden Klubs erreicht er drei Mal die Playoffs, zwei Mal geht es in die zweite Runde, weiter aber nie – und fünf Mal gibt er im Mai sowie Juni den unbeteiligten Beobachter. Immer genauer suchen viele enttäuschte Fans nach Ansatzpunkten für ihre Kritik. Die Tatsache, dass er 2001 am Tag vor dem siebten Spiel der zweiten Runde gegen die 76ers eine Feier zu seinem Studienabschluss besucht, ist solch ein Ansatzpunkt. Vor allem, als er später zwei Sekunden vor der Sirene den Gamewinner vergibt. Ebenso sein Interview nach dem Abgang in Toronto im Januar 2005, in dem Carter zugibt, dass er bei den Raptors nicht immer so hart wie möglich auf dem Parkett gekämpft habe.

In kurzer Zeit wird aus Verehrung vielerorts Verachtung. Carter wird zum verletzungsanfälligen Schönspieler abgestempelt – einer, der zwar Talent, aber kein Interesse daran hat, dieses durch harte Arbeit zur vollen Blüte gedeihen zu lassen. Er sei ein Ballermann ohne Gewissen, so der Tenor, der aus Angst vor hartem Kontakt immer seltener den Weg ins Land unter den Körben suchen würde, um stattdessen feige aus der Distanz draufzuhalten.

Sein alter UNC-Kommilitone Antawn Jamison (31 Playoffspiele), für den er nach der Draft getradet wurde, wird als besserer Spieler tituliert, ebenso das wandelnde Erstrundenaus aus seiner Familie, das auf den Namen T-Mac (38) hört. Dass er noch heute mit 42 Partien mehr Erfahrung bezüglich der Postseason besitzt als die beiden, interessiert nicht. Dem Olympiasieger von 2000, der zwei Mal im Final Four der NCAA stand, wird abgesprochen, wirklich gewinnen zu wollen. In der Folge werden seine Spitznamen verulkt, 2008 wird er erstmals nicht zum AII-Star-Weekend eingeladen3, und als die Nets in den abgelaufenen bei den Spielzeiten die Playoffs verpassen, rutscht Carter im kollektiven Gedächtnis der Basketball-Gemeinde immer weiter nach hinten. Dass er in den vier Jahren in NewJersey nur elf von 328 Saisonspielen verpasst, interessiert nicht. Ebenso wenig, dass er in einem schwach besetzten Kader starke individuelle Leistungen zeigt und mehrmals mit Gamewinnern Nerven in der Crunchtime beweist. All das ist sekundär … das Urteil war gesprochen!

Erstmals kein Franchise-Player

In Orlando hat Carter nun die Möglichkeit, sich in ein anderes Licht zu stellen… auch wenn er versucht, die Aufmerksamkeit von seiner eigenen Situation wegzulenken: “Es geht hier nicht um mich, sondern um uns. Ich bin hier, um zu helfen und die Mannschaft auf das nächste Level zu bringen. Ich möchte zeigen, dass ich ein sehr gutes Team noch besser machen kann.” Es scheint, dass er bei den Magic lieber hineinpassen als herausragen möchte, aber dennoch:ie Situation ist ein Novum für ihn. Nicht nur, dass er in seiner Heimat spielt, erstmals in seiner Profi karriere steht er auch in einem Kader, der zu den stärksten der Liga gehört. Er ist zudem nicht länger mit der Bürde des Franchise-Players belastet – die trägt Dwight Howard auf seinen breiten Schultern. Außerdem steht er nicht wie früher so oft als Scorer alleine da, sondern hat mit Howard, Jameer Nelson und Rashard Lewis drei All Stars an seiner Seite. Howard und Nelson haben vergangene Saison nach der letzten Niederlage bis zum bitteren Ende zugeschaut, wie die Lakers in ihrer Arena den Titel feierten, “um uns später durch die Erinnerung daran für diese Saison zu motivieren”, sagt Howard. Carter war noch nie Teil einer Truppe, die so dermaßen heiß auf die Meisterschaft ist.

“Ich bin mehr als angetan von der Chance, um den Titel mitzuspielen”, sagt er. “Es ist eine Sache, bei einem Team zu spielen, das eventuell eine Chance aufs Finale hätte, wenn alles gut laufen würde, aber hier bei uns ist das eine ganz andere Sache. Wir haben realistische Chancen aufs Finale. Das ist sehr spannend. Ich bin bereit für diese Herausforderung. Das ist kein Druck für mich, sondern eher aufregend.”

Nach der Finalniederlage gegen die Lakers ging Magic-GM Otis Smith ein großes Risiko ein, als er mit Rafer Alston, Courtney Lee und Hedo Türkoglu drei Starter aus den Finals ziehen ließ und neben Carter vier weitere neue Profis verpflichtete’. Die größten Wellen schlug dabei mit Sicherheit der Austausch des türkischen Point Forwards gegen Carter. Natürlich ist VC der bessere Spieler, aber ist er auch das besser passende Puzzleteil? Ob es eine gute Entscheidung war, wird sich abschließend erst nach den Playoffs beantworten lassen, aber schon jetzt ist zu erkennen, dass Stan Van Gundy durch den Tausch taktisch mehr Möglichkeiten hat. Der Headcoach der Magic kann jetzt vielseitiger spielen als mit Türkoglu, weil Carter sowohl auf der Drei als auch auf der Zwei spielen kann. Türkoglu dagegen hatte defensiv gegen die guten Shooting Guards der Liga mehr als nur leichte Probleme. Bei Carter ist das nicht der Fall, und dadurch kann Rashard Lewis auch mal als Small Forward auflaufen, wodurch im stark besetzten Frontcourt mehr Minuten für Ryan Anderson, Marcin Gortat und Brandon Bass abfallen könnten.

Wichtig für die Crunchtime

Zudem ist Carter für die Schlussphasen knapper Spiele der bessere Scorer als Türkoglu. Wo es zuletzt in der Crunchtime immer ein Pick-and-Roll mit Türkoglu gegeben hat, wird jetzt für Carter auch gerne mal das Spiel weit gemacht, damit er von oben an der Birne alleine operieren kann. “Vince kann sich jederzeit von überall seinen eigenen Wurf kreieren”, sagt Van Gundy, “und die besten Teams haben so einen Go-to-Guy: Kobe Bryant, Paul Pierce,LeBron James, Dwyane Wade, Joe Johnson, Carmelo Anthony … da kannst du die Liste durchgehen. Und mit Vince haben wir nun ebenfalls einen Spieler, der seinen Wurf loswerden kann, auch wenn er gut verteidigt wird.” Gerade in Situationen, in denen ein Spieler isoliert eins-gegen-eins spielen solle, würde Carter dem Spiel der Magie eine neue Dimension geben.

Die ersten zwei Monate der Saison bestätigen die Einschätzung Van Gundys. Beim 106:98 gegen die Pacers trifft Carter in der entscheidenden Phase kurz vor Schluss vier Freiwürfe, beim 126: 118 gegen die Warriors liefert er 19 Punkte in der zweiten Hälfte, acht davon von der Linie. Gegen die Bucks muss er nach fünf Minuten mit vier Stichen am Mund genäht werden, kommt zurück und sichert seinem Team mit zehn Punkten im letzten Viertel das 100:98. Auch beim 83:78 in Boston liefert er in der bis dato härtesten Partie Orlandos zehn Punkte im letzten Viertel. Carter ist mit 19,3 Punkten im Schnitt nicht nur der Topscorer Orlandos, sondern macht auch speziell im letzten Viertel die meisten Punkte und ist laut den Experten von 82games.com der beste Crunchtlme-Scorer der Magic. Er habe nichts dagegen, der Mann für die entscheidenden Würfe zu sein, sagt er. “Wenn der Coach mir vertraut, dass ich die richtige Entscheidung treffe, wenn er den Ball am Ende in meinen Händen sehen will, werde ich versuchen, das Spiel nach Hause zu schaukeln.”

Solche Worte hört Van Gundy gerne, denn anfangs übertrieb es der Neuzugang seiner Meinung nach mit dem Einfügen ins neue Team. Carter sei ihm fast zu selbstlos, sagte der Headcoach noch während der Vorbereitungsspiele, er aber wolle, dass “Vince einfach Vince ist und aggressiver spielt”. Auch andere Aspekte, die früher kritisiert wurden, werden in Orlando gelassener gesehen. Zum Beispiel zieht er im Schnitt wieder mal weniger Freiwürfe als in der Vorsaison (4,7 zu 5,1). Allerdings spielt er jetzt aber auch fünf Minuten weniger und hat mit Howard einen dicken Center, der zum einen hin und wieder den nötigen Platz für foulträchtige Drives versperrt und andererseits seinem neuen Kollegen viele offene Distanzwürfe beschert, da Superman oft im Post gedoppelt wird.

Auch die Tatsache, dass Carters Wurfquote die schlechteste seiner NBA-Karriere ist und er dennoch deutlich mehr Würfe als Franchise-Player Howard nimmtS, ruft bisher noch keinen Ärger hervor. “Ich weiß genau, was Vince kann und wie gut er sein kann, und das wird er auch noch konstanter zeigen”,sagt Howard. “Er ist neu hier im Team und muss sich erst akklimatisieren.

Ich bin jedoch positiv überrascht, wie gut das Zusammenspiel bereits klappt. Wir ziehen hier alle an einem Strang, unser großes Ziel ist der Titel. Da ist kein Platz für Streit innerhalb des Teams.”

Was auch immer nötig ist …

Vielleicht sind seine Kollegen so entspannt, weil sie sehen, dass Carter tut,was immer gerade für den Teamerfolg nötig ist. Als er beispielsweise Mitte November nach einer Verletzungspause von drei Spielen zurückkommt, verzichtet er, der bis auf sieben Spiele in der NBA immer Starter war, gegen die Bobcats auf seinen Platz in der Ersten Fünf. Er habe nicht zerstören wollen, was in der Partie vorher in den ersten Minuten so gut funktioniert habe, sagt er später. “Genau das ist meine Mentalität, seit ich getradet worden bin. Ich möchte mich einfügen. Natürlich möchte ich die Person sein, die ich bin, und auch der Spieler, der ich bin, aber ich komme nicht hierher und sage, dass ich der Führungsspieler in diesem Team sein muss.” Auch gegen sich selbst ist er härter, als es viele in Erinnerung haben. Gegen die Pacers läuft er trotz Magenverstimmung auf und macht 28 Punkte, gegen die Bucks wird er von Ersan lIyasova mit der Schulter am Kopf getroffen und knallt auf den Boden, spielt nach drei Minuten Pause aber weiter und liefert insgesamt 25 Punkte. Bisher läuft es gut für die Magic. Wie erwartet stehen sie mit Boston und Cleveland an der Spitze der Eastern Conference. 13.000 verkaufte Dauerkarten sind neuer Rekord, die Erwartungshaltung des Umfeldes ist klar: Der Titel muss her! Die Magic-Fans mussten einst zuschauen, wie erst Shaq und später T-Mac der Franchise den Rücken kehrten, sahen Grant Hili auf Krücken kommen und mit 93 Millionen Dollar wieder gehen – dieses Jahr wären sie nur zufrieden, wenn sie nach der letzten Partie feiern dürfen. Für Carter wäre es die Kehrtwende in seiner Karriere. Nichts verändert das Image eines Spielers so sehr wie ein Titel. Das war in der jüngeren Vergangenheit bei Rasheed Wallace und Chauncey Billups in Detroit zu sehen sowie bei Kevin Garnett, Ray Allen und Paul Pierce in Boston. Anders als beispielsweise Gary payton, der im Spätherbst seiner Karriere mit den Heat seinen Championship-Ring abgriff, wäre Carter mit seinen jetzigen Leistungen zudem eine der tragenden Säulen des Erfolgs. Falls er einen Titel nach Orlando bringen würde, könnte dies die ersten elf Jahre seiner Profikarriere zwar nicht ausradieren, aber doch erheblich relativieren. Er würde immer als der Spieler in Erinnerung bleiben, der die erste Meisterschaft in seine Heimat geholt hat.